Alle im Gerichtssaal erheben sich. Der Richter erhebt seine Stimme: „Im Namen der Republik werden Sie verurteilt ...“
So oder so ähnlich schaut das Ende eines Gerichtsverfahrens in unserer Vorstellung häufig aus. Aber: Nicht jedes Gerichtsverfahren endet mit einem Urteil!
Ein Zivilverfahren beispielsweise kann auch beendet werden, wenn ...
- ... die beiden Parteien vereinbaren, das Verfahren (vorläufig oder endgültig) nicht fortzusetzen, z.B. weil sie sich außergerichtlich einigen. Dies nennt man „Ruhen“ des Verfahrens.
- ... die beiden Parteien sich vor Gericht einigen. Dies nennt man einen gerichtlichen Vergleich.
Auch ein Strafverfahren kann ohne Urteil enden, nämlich ...
- ... wenn die oder der Beschuldigte/Angeklagte vor dem Urteil stirbt.
- ... durch eine Diversion: Wenn der Sachverhalt geklärt ist und das Delikt nicht so schwerwiegend ist, kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht eine Diversion anbieten. Wenn die/der Beschuldigte oder die/der Angeklagte der Diversion zustimmt, endet damit das Strafverfahren. Die/der Angeklagte muss dann zum Beispiel gemeinnützige Arbeit verrichten, oder einen bestimmten Geldbetrag zahlen. Bei der Diversion erfolgt kein Schuldspruch, keine formelle Verurteilung und auch keine Eintragung im Strafregister (allerdings wird die Diversion justizintern für zehn Jahre gespeichert).
Urteile – mehr als „schuldig“ oder „Freispruch“
In einem Urteil wird nicht nur erklärt, wem „Recht gegeben“ wird, oder ob jemand für schuldig oder unschuldig befunden wurde, sondern es muss auch eine Begründung enthalten, wie das Gericht zu diesem Urteil gekommen ist.
Bei Strafverfahren besagt das Urteil, welche Strafe verhängt wird, ob und warum diese bedingt/unbedingt ist, und ob es Gründe für eine Milderung/Erschwerung der Strafe gibt.
Damit das Urteil gültig ist, müssen auch gewisse formale Richtlinien eingehalten werden (z.B. muss es die Unterschrift der RichterInnen, die es verfasst haben, enthalten).
Das Urteil in einem Strafverfahren wird am Ende des Gerichtsprozesses mündlich verkündet. Später wird es auch schriftlich verfasst.
In einem Zivilverfahren wird das Urteil meist schriftlich verfasst und dann den beiden Parteien (klagende und beklagte Partei) übermittelt.
Im Zweifel für den Angeklagten
Wenn RichterInnen am Ende eines Strafverfahrens Zweifel haben, ob der Angeklagte tatsächlich eine strafbare Handlung begangen hat, so müssen sie zugunsten des Angeklagten entscheiden und ihn freisprechen.
Recht auf Anfechtbarkeit der Entscheidung
Nach der Urteilsverkündung können die Beteiligten das Urteil akzeptieren, 3 Tage Bedenkzeit nehmen, und das Urteil bekämpfen (ein „Rechtsmittel ergreifen“)
Nachdem die letzte gerichtliche Instanz durchlaufen wurde, ist eine Anfechtung nicht mehr möglich.
Sowohl AnklägerIn (Staatsanwaltschaft) als auch die/der Verurteilte im Strafverfahren können das Urteil bekämpfen. Ebenso haben in einem Zivilverfahren sowohl die klagende als auch die beklagte Partei das Recht, die Entscheidung anzufechten.
Wer das Urteil bekämpft, hat Auswirkungen darauf, wie das nächste Urteil ausfallen könnte.
Beispiel: Die Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren hat das Urteil angenommen, der Angeklagte bekämpft es jedoch. In diesem Fall darf das Urteil in nächster Instanz für die/den Angeklagten nicht „ungünstiger“ ausfallen (z.B. eine höhere Strafe) als das erste.
Gründe, ein Urteil zu bekämpfen
Es gibt mehrere Gründe, ein Urteil zu bekämpfen: Die Beteiligten bezweifeln, dass die Strafe angemessen (zu hoch, zu gering ...) ist, oder ob die/der Angeklagte wirklich schuldig/nicht schuldig ist. Es kann aber auch wegen (formalen) Fehlern im Gerichtsprozess bekämpft werden („Nichtigkeit“).
Das Urteil eines Geschworenen- oder Schöffengerichts über die Schuld (oder Unschuld) des/ der Angeklagten ist übrigens unanfechtbar!
„Das Urteil ist (nicht) rechtskräftig.“
Wird ein Urteil nicht mehr verändert (weil es von keiner Seite angefochten wird) bzw. kann es nicht mehr verändert werden (weil es nicht mehr angefochten werden kann), so ist das Urteil „rechtskräftig“.
Ein rechtskräftiges Urteil muss vollstreckt (umgesetzt) werden.
Strafen
Wird in einem Gerichtsverfahren der/dem Angeklagten eine Schuld nachgewiesen, so wird das Urteil ein Schuldspruch sein, und es wird eine Strafe ausgesprochen. Die Höhe der Strafe hängt davon ab, welches Gesetz gebrochen wurde.
Außerdem ist die „Prognose“ für die Höhe und Art der Strafe wichtig: Kann angenommen werden, dass die/der Verurteilte eine weitere Straftat begeht? Oder ist dies unwahrscheinlich? Je nachdem, wie dies eingeschätzt wird, wird auch die Strafe ausfallen.
Grundsätzlich kann eine Strafe eine Freiheitsstrafe („Gefängnis“, Haftstrafe) oder eine Geldstrafe sein. In Österreich sind Körperstrafen und die Todesstrafe verboten.
Eine Freiheitsstrafe kann auf bestimmte Zeit (von 1 Tag bis 20 Jahre) oder lebenslang verhängt werden.
Die Geldstrafe wird in sogenannten „Tagessätzen“ bemessen. Die Anzahl dieser Tagessätze richtet sich nach der Art des Vergehens. Tagessätze können sehr unterschiedlich hoch sein (von einigen Euro bis derzeit maximal 5000 Euro) – die Höhe richtet nach den finanziellen Möglichkeiten der/des Verurteilten.
Wenn die/der Verurteilte die Geldstrafe nicht zahlen kann, kann sie/er grundsätzlich auch eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.
Zweck der Strafe
Bei einer Strafe müssen ein gewisses „Übel“ und ein „Tadel“ dabei sein. (Bei einer Diversion hingegen geht es eher um „Wiedergutmachung“.)
Die Strafe soll ...
- ... dem Täter/der Täterin bewusst machen, dass sie Unrecht getan haben.
- ... verhindern, dass die/der Verurteilte eine weitere Straftat begeht.
- ... andere Personen davon abhalten, eine Straftat zu begehen.
Ziel ist auch, dass die Straftäterin/der Straftäters letztendlich wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden kann.
Bedingte Strafen
Das Gericht kann entscheiden, dass eine Strafe zum Teil „nachgesehen“ werden kann. Sowohl bei Geldstrafen als auch bei Freiheitsstrafen ist dies möglich. Die / der Verurteilte bekommt dann eine gewisse Probezeit. Wenn er innerhalb dieser Probezeit keine weitere Straftat begeht, wird ihm dieser Teil der Strafe erlassen; wird sie/er jedoch wieder straffällig, muss der Rest der Strafe verbüßt bzw. der Rest der Geldstrafe bezahlt werden.
Wichtig: Für Jugendliche gelten eigene Bestimmungen bezüglich der Strafen (Jugendstrafrecht)!