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Interview mit Veronika Wöhrer, Soziologin

Veronika Wöhrer ist Soziologin und arbeitet am Institut für Soziologie der Universität Wien. Sie ist Lektorin an den Universitäten Graz und Wien und unterrichtet Gender Studies. Sie interessiert sich besonders für die Auswirkungen von Geschlecht (auch in Verbindung mit sozialer und ethnischer Herkunft) in der Wissenschaft und in der Schule und hat zu diesen Themen mehrere Forschungsprojekte durchgeführt.

Im März 2016 haben wir sie zum Thema „Frauen und Demokratie“ interviewt.

Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Errungenschaften der Frauenrechtsbewegungen?

Wichtige Errungenschaften der sogenannten ersten Frauenbewegung waren das allgemeine Wahlrecht für Frauen, das in Österreich 1918 eingeführt wurde, und der Zugang zu höherer Bildung für Frauen und Mädchen. Die Zulassung von Frauen zu Gymnasien und Universitäten erfolgte in Österreich erst Ende des 19. Jahrhunderts. Ein weiteres Verdienst der ersten Frauenbewegung war ein leichterer Zugang von Frauen zu Erwerbsarbeit. So wurde der sogenannte „Beamtinnen-Zölibat“ mit der Gründung der ersten Republik aufgehoben. Das heißt, dass von berufstätigen Frauen davor erwartet worden war, dass sie unverheiratet und kinderlos waren. Mit der Heirat bzw. Schwangerschaft verloren sie ihren Beruf.
 
Wichtige Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung waren in rechtlicher Hinsicht die partnerschaftliche Ehe, das Straffrei-Stellen eines Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft, die Schaffung von Frauenhäusern und bessere Rechte zum Schutz von Frauen und Kindern gegen Gewalt in der Familie.

Was halten Sie von Quoten für Frauen in politischen Parteien und in der Wirtschaft?

Quoten sind ein Mittel, um Benachteiligungen entgegenzuwirken. Das heißt, bei gleicher Qualifikation wird ein Mitglied der benachteiligten Gruppe vorgezogen. Das können Frauen sein oder auch Personen aus Minderheiten, aus schlechter gestellten sozialen Schichten, etc. 

Solange es klare Benachteiligungen von Frauen in der Politik und in den höheren Positionen in der Wirtschaft gibt, denke ich, dass Quoten notwendig sind, um dem entgegenzuwirken. Nur so werden Parteien und Unternehmen gezwungen, sich aktiv um gute Frauen zu bemühen. Frauen sind mittlerweile oft besser ausgebildet als Männer, sie werden aber bei Führungspositionen oft übergangen. Das immer wieder vorgebrachte Gegenargument, dass „Quotenfrauen“ die schlechtere Wahl für einen Job seien, stimmt nicht, denn Frauen werden nur bei gleicher Qualifizierung vorgereiht.

Warum verdienen Frauen bei gleicher Arbeitsstelle und vergleichbarer Qualifikation deutlich weniger als Männer? Was kann dagegen unternommen werden?

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Eine ist, dass Männer und Frauen tendenziell anders um ihr Gehalt verhandeln. Männern fordern meist ein höheres Gehalt und es wird ihnen auch eher zugebilligt als Frauen, die oft niedrigere Forderungen haben. Die unterschiedliche Selbsteinschätzung zeigt sich auch bei Selbständigen, wo Männer ihre Arbeitsleistung weit teurer bewerten und verkaufen als weibliche Kolleginnen. Dahinter steht einerseits ein höheres Selbstbewusstsein, aber auch eine recht traditionelle Idee, nämlich die, dass Männer Familienernährer sind bzw. sein könnten und von daher mehr Geld verdienen sollten.

Auch die Karriereverläufe von Männern und Frauen sind unterschiedlich: Männer haben meist „linearere“ Berufskarrieren, d.h. sie haben kaum Unterbrechungen oder Phasen der Teilzeitarbeit, sondern arbeiten durchgängig Vollzeit und machen auch mehr Überstunden. Damit verdienen sie mehr und „empfehlen“ sich für Führungspositionen. Interessant dabei ist, dass Frauen auch dann weniger verdienen, wenn sie real gar keine Kinder oder Arbeitsunterbrechungen haben, denn es wird vermutet, dass das eintreten könnte. Was oft ein Grund dafür ist, dass sie nicht in Führungspositionen kommen oder bei Beförderungen übergangen werden. Im Laufe der Berufsjahre summieren sich diese Ungleichheiten: Von Teilzeitarbeit in eine Führungsposition aufzusteigen ist nur schwer möglich, meist bleiben die Frauen also in niedrigeren Lohnsektoren. Geringerer Lohn bedeutet aber auch geringes Geld in der Arbeitslosigkeit und eine geringere Pension im Alter.

Zudem gibt es eine starke sogenannte „geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes“, das heißt, dass manche Berufsfelder mehrheitlich von Frauen, andere mehrheitlich von Männern ausgeübt werden. Diese Berufsfelder werden aber nicht gleich bewertet und auch nicht gleich bezahlt. Derzeit werden Berufe, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, deutlich geringer entlohnt als typische Männerberufe. Pädagogische Berufe, pflegende Berufe, etc. auch Lehrberufe wie Kosmetiker_innen, Frisör_innen, etc. sind viel schlechter bezahlt als MetalltechnikerInnen oder ElektronikerInnen. Dahinter steht nicht nur die Idee, dass Frauen ohnehin eher Nebenverdienerinnen sind und ihr Gehalt also nicht so hoch sein muss wie das von Männern. Das hat auch damit zu tun, dass diese Tätigkeiten als „genuin weiblich“ betrachtet werden, das heißt, dass es Frauen ohnehin nahe liegen würde, versorgende Berufe auszuüben. Beides sind natürlich sehr problematische Vorannahmen, die auf sehr stereotypen Geschlechterbildern aufbauen.

Welchen Effekt haben Ihrer Meinung nach Initiativen (wie z.B. „Frauen in Technik“), die das Ziel haben, Mädchen wissenschaftliche und technische Berufe näherzubringen?

Ich denke, dass sie auf einer persönlichen Ebene auf jeden Fall den Spielraum und die Perspektive, vielleicht auch das Selbstbewusstsein von Frauen und Mädchen positiv verändern. Ich bin aber etwas skeptischer in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Die oben genannten ungleichen Wertigkeiten von Berufsfeldern, der Ausschluss von Frauen aus Führungspositionen, die traditionellen Ideen in Bezug auf männliche Ernährer und weibliche Nebenverdienerinnen wirken ja immer noch weiter und strukturieren das Fortkommen von Mädchen und Frauen. Initiativen, die nur Mädchen oder Frauen und deren bessere Ausbildung zum Ziel haben, helfen da nicht unbedingt weiter. Wichtiger wäre, Berufsbilder, Wertigkeiten oder Arbeitsstrukturen so zu verändern, dass sie offener für Mädchen und Frauen werden. Das heißt, zusätzlich zu den Förderungen einzelner Frauen und Mädchen müssten die Strukturen verändert werden.

Welche Rolle spielen geschlechterspezifische Stereotype heute in unserer Gesellschaft und was hat sich in den letzten Jahrzehnten in dieser Hinsicht verändert?

Es ist sicher Bewegung in geschlechterspezifische Stereotype gekommen und die Wahlmöglichkeiten von Männern und Frauen sind gestiegen. Dennoch scheinen manche traditionellen Vorstellungen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung sehr hartnäckig zu sein. Noch immer verrichten Frauen viel mehr Haushalts- und Versorgungsarbeit, noch immer verdienen Männer mehr und eignen sich daher besser zum Allein- oder Besserverdiener, nach dessen Karriere sich die ganze Familie richtet. Noch immer sind viel mehr Frauen von ihren Männern finanziell abhängig als umgekehrt. Das heißt, rechtlich gibt es nun die Möglichkeit, dass Männer und Frauen ihre Erwerbs- und häusliche Arbeit gleichberechtigt teilen oder dass Frauen Karrieren machen und ihre Männer versorgen. Viele gesellschaftliche Mechanismen sind aber noch an alten Geschlechterbildern orientiert.

Auch die Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz selbst, also was es bedeutet, „Mann“ oder „Frau“ zu sein, ob wir uns einem dieser beiden Geschlechter eindeutig und für immer zuordnen müssen, wie Familien aussehen, wer wen heiraten oder mit wem Kinder bekommen darf, sind in Bewegung geraten. Die Norm bleibt aber immer noch die eindeutige und an der Biologie festgemachte Definition von „Mann“ und „Frau“ sowie die heterosexuelle Kleinfamilie mit leiblichen Kindern. Andere Lebensformen sind nach wie vor legitimationsbedürftig und häufig von Diskriminierungen betroffen.

Interview mit Gabriele Heinisch-Hosek, Frauenministerin von 2008-2016

Im Februar 2010 haben wir ein Interview mit der damaligen Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek durchgeführt. Sie hatte dieses Amt von 2008 mit kurzer Unterbrechung bis Mai 2016 inne. Wer mehr über die Aufgaben des Frauenministeriums wissen will und ob sich seit der Einführung des Ministeriums viel verändert hat, kann hier nachlesen.

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gedruckt am: Samstag, 21. Dezember 2024