Sie waren maßgeblich an den Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU beteiligt. Wie erlebten Sie zu dieser Zeit die Einstellungen der ÖsterreicherInnen zur EU und zu einem möglichen Beitritt Österreichs?
Österreich schickte 1989 einen Brief nach Brüssel mit dem Ersuchen, der EU beitreten zu dürfen. Doch zunächst wurde dieses Ersuchen auf die „lange Bank geschoben“, weil es damals bei einigen der alten Mitgliedsstaaten wenig Begeisterung gab, neue Mitglieder aufzunehmen. Deshalb erhielt Österreich zunächst von der EU das Angebot, über den so genannten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu verhandeln. Im Jahr 1992 konnten diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Die Idee des europäischen Wirtschaftsraums war, dass alle Mitglieder ohne Zölle in die EU liefern können und umgekehrt, dass auch die EU-Länder zollfrei nach Österreich liefern können. Davon war allerdings der Handel mit Lebensmitteln und Agrarprodukten ausgenommen. Und für uns ÖsterreicherInnen stellte sich zudem das Problem, dass wir an der Gesetzgebung der Europäischen Union nicht teilnehmen konnten, denn dies ist nur Vollmitgliedern möglich. Österreich und die drei weiteren Beitrittswerber Schweden, Finnland und Norwegen blieben jedoch hartnäckig, bis im Jahr 1992 die Verhandlungen über die Vollmitgliedschaft aufgenommen wurden. Die Beitrittsverhandlungen wurden getrennt für die verschiedenen Fachbereiche geführt. Unter meiner Leitung erfolgten die Verhandlungen über die Beitrittsbedingungen für die österreichische Landwirtschaft.
Die Unsicherheiten und Ängste in der Bevölkerung gegenüber der EU, vor allem in der ländlichen Bevölkerung, waren damals sehr groß. Viele Ängste wurden zudem zum Teil auch von allen möglichen EU-Gegnern angeheizt.
Unter den Bauern und Bäuerinnen war die Angst, dass nach einem EU-Beitritt Österreichs die Preise für landwirtschaftliche Produkte drastisch fallen würden durchaus berechtigt, da die Preise für wichtige Lebensmittel wie Milch, Getreide oder Rindfleisch deutlich höher waren als in der EU, im Durchschnitt etwa um 30%. Außerdem befürchteten die Menschen, dass Österreich mit ausländischen Lebensmitteln überschwemmt würde, da Österreichs Nahrungsmittelwirtschaft mit den großen Betrieben der uns umgebenden EU-Länder nicht konkurrieren könne. Die PolitikerInnen und InteressensvertreterInnen, die für die landwirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich waren, sahen es zurecht als ihre Aufgabe an, der Bevölkerung Österreichs, und vor allem den Bauern und Bäuerinnen, die Wahrheit zu sagen und auch zu erklären, wie die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft gemeistert werden könne. Bei unzähligen Veranstaltungen in ganz Österreich wurde heiß diskutiert und allmählich nahm die Meinung überhand, dass zwar die Preise der in Österreich erzeugten Lebensmittel auf jeden Fall unter Druck kommen würden – schon allein durch die Entwicklungen im Welthandel –, dass aber bei einer entsprechenden Vorbereitung die österreichischen Bauern innerhalb der EU bessere Chancen vorfinden würden als außerhalb. Ein großer Tiroler Marmeladen-Erzeuger machte damals immer wieder darauf aufmerksam, dass er leichter ein Glas Marmelade nach Hongkong verkaufen könne als nach Deutschland.
Es kamen auch immer mehr KonsumentInnen zur Ansicht, dass es wohl besser wäre in der EU zu sein, da durch den EU-Markt das Angebot an Lebensmitteln deutlich größer würde.
Nun begannen Überlegungen, wie sich die österreichischen Bauern und die Lebensmittelindustrie auf diesen großen Markt in der EU vorbereiten könnten. So entstanden Ideen wie:
Österreich ist ein Land mit großer Vielfalt;
ein Land, in dem die Bauern ihre Landwirtschaft deutlich mehr MIT als gegen die Natur betreiben. Daraus kann man eine Werbebotschaft machen:
„Österreichs Produkte haben eine hohe Qualität und Natürlichkeit“.
Die Idee, dass Österreich zum Feinkostladen Europas werden könnte, war geboren.
Aus diesen Überlegungen wurden Verkaufsargumente für Qualitätsprodukte aus Österreich entwickelt und das AMA Gütesiegel.
Bei Veranstaltungen wurde auch wiederholt darauf hingewiesen, dass mit dem Kauf eines österreichischen Produkts gleichzeitig ein Stück österreichischer Kulturlandschaft gepflegt wird. Ich bezeichne das immer als „Konsum-Patriotismus“. Dieser Patriotismus entstand in der Zeit der Beitrittsverhandlungen und führte auch allmählich dazu, dass die befürchteten großen Verkaufsverluste nicht eintraten.
Den Bauern und Bäuerinnen wurde allmählich klar, dass ihr Einkommen zumindest gleich bleiben bzw. vielleicht auch steigen könnte, wenn sie sich anstrengen oder neue Ideen für ihre Betriebsführung entwickelten. Rückblickend muss man sagen, dass diese Hoffnungen sich als richtig herausstellten, weil die Abnahme der Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in den 10 Jahren vor dem EU-Beitritt größer war als in den 10 Jahren danach.
Der Bio-Gedanke – eine große Chance für Österreichs Landwirtschaft
Ein wichtiger Gedanke im Rahmen der Qualitätsstrategie für die österreichische Landwirtschaft war der Bio-Gedanke, der unter den Bauern schon Anfang der 90-er Jahre vorhanden war. Bio-Lebensmittel, wie sie uns heute vertraut sind, waren jedoch nur schwer erhältlich, teuer und im Bewusstsein der Bevölkerung nur wenig verankert.
Mir war aber sehr wichtig, dass aus dieser Idee wirtschaftlich tragfähige Möglichkeiten für die LandwirtInnen entstehen konnten. Als ich im Jahre 1989 das Landwirtschaftsministerium übernahm, betrug das gesamte Budget für den Bio-Landbau 2 Millionen Schilling (das sind etwa 140.000 €). Und als ich das Ministerium nach 5 Jahren verließ, war das Budget für den Bio-Landbau auf 200 Millionen Schilling angestiegen, also 100 Mal so viel. Dies konnte uns nur gelingen, weil die maßgeblichen Supermarktketten Bio-Produkte in ihre Verkaufsprogramme aufnahmen. Darin ist Österreich heute noch weltweit führend!
In dieser Zeit wurden dann auch neue Labels für Bio-Produkte entwickelt. In der Folge stieg das Interesse an Bio-Lebensmitteln bei den österreichischen KonsumentInnen stetig an. Und ich kann voll Stolz sagen, dass Österreich immer noch Weltrekordhalter ist, was den Bio-Landbau betrifft: der Anteil an Bio-Anbauflächen liegt bei knapp unter 20 Prozent.