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Interview mit Franz Fischler, dem ehemaligen EU-Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei

Der aus Tirol stammende österreichische Politiker Franz Fischler war von 1989 bis 1994 österreichischer Landwirtschaftsminister. In dieser Funktion war er auch in die Beitrittsverhandlungen Österreichs maßgeblich eingebunden. Nach dem Beitritt Österreichs zur EU wurde Franz Fischler Mitglied der Europäischen Kommission und war als erster österreichischer Kommissar in den Jahren 1995 bis 2004 für die Bereiche Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei verantwortlich.
Im Dezember 2014 befragten wir ihn über die Zeit der Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU, über seine Arbeit in der Europäischen Kommission und über seine Einschätzung zu den großen Aufgaben der EU in den kommenden 20 Jahren.

Sie waren maßgeblich an den Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU beteiligt. Wie erlebten Sie zu dieser Zeit die Einstellungen der ÖsterreicherInnen zur EU und zu einem möglichen Beitritt Österreichs?

Österreich schickte 1989 einen Brief nach Brüssel mit dem Ersuchen, der EU beitreten zu dürfen. Doch zunächst wurde dieses Ersuchen auf die „lange Bank geschoben“, weil es damals bei einigen der alten Mitgliedsstaaten wenig Begeisterung gab, neue Mitglieder aufzunehmen. Deshalb erhielt Österreich zunächst von der EU das Angebot, über den so genannten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu verhandeln. Im Jahr 1992 konnten diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Die Idee des europäischen Wirtschaftsraums war, dass alle Mitglieder ohne Zölle in die EU liefern können und umgekehrt, dass auch die EU-Länder zollfrei nach Österreich liefern können. Davon war allerdings der Handel mit Lebensmitteln und Agrarprodukten ausgenommen. Und für uns ÖsterreicherInnen stellte sich zudem das Problem, dass wir an der Gesetzgebung der Europäischen Union nicht teilnehmen konnten, denn dies ist nur Vollmitgliedern möglich. Österreich und die drei weiteren Beitrittswerber Schweden, Finnland und Norwegen blieben jedoch hartnäckig, bis im Jahr 1992 die Verhandlungen über die Vollmitgliedschaft aufgenommen wurden. Die Beitrittsverhandlungen wurden getrennt für die verschiedenen Fachbereiche geführt. Unter meiner Leitung erfolgten die Verhandlungen über die Beitrittsbedingungen für die österreichische Landwirtschaft.

Die Unsicherheiten und Ängste in der Bevölkerung gegenüber der EU, vor allem in der ländlichen Bevölkerung, waren damals sehr groß. Viele Ängste wurden zudem zum Teil auch von allen möglichen EU-Gegnern angeheizt.
Unter den Bauern und Bäuerinnen war die Angst, dass nach einem EU-Beitritt Österreichs die Preise für landwirtschaftliche Produkte drastisch fallen würden durchaus berechtigt, da die Preise für wichtige Lebensmittel wie Milch, Getreide oder Rindfleisch deutlich höher waren als in der EU, im Durchschnitt etwa um 30%. Außerdem befürchteten die Menschen, dass Österreich mit ausländischen Lebensmitteln überschwemmt würde, da Österreichs Nahrungsmittelwirtschaft mit den großen Betrieben der uns umgebenden EU-Länder nicht konkurrieren könne. Die PolitikerInnen und InteressensvertreterInnen, die für die landwirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich waren, sahen es zurecht als ihre Aufgabe an, der Bevölkerung Österreichs, und vor allem den Bauern und Bäuerinnen, die Wahrheit zu sagen und auch zu erklären, wie die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft gemeistert werden könne. Bei unzähligen Veranstaltungen in ganz Österreich wurde heiß diskutiert und allmählich nahm die Meinung überhand, dass zwar die Preise der in Österreich erzeugten Lebensmittel auf jeden Fall unter Druck kommen würden – schon allein durch die Entwicklungen im Welthandel –, dass aber bei einer entsprechenden Vorbereitung die österreichischen Bauern innerhalb der EU bessere Chancen vorfinden würden als außerhalb. Ein großer Tiroler Marmeladen-Erzeuger machte damals immer wieder darauf aufmerksam, dass er leichter ein Glas Marmelade nach Hongkong verkaufen könne als nach Deutschland.
Es kamen auch immer mehr KonsumentInnen zur Ansicht, dass es wohl besser wäre in der EU zu sein, da durch den EU-Markt das Angebot an Lebensmitteln deutlich größer würde.

Nun begannen Überlegungen, wie sich die österreichischen Bauern und die Lebensmittelindustrie auf diesen großen Markt in der EU vorbereiten könnten. So entstanden Ideen wie:
Österreich ist ein Land mit großer Vielfalt;
ein Land, in dem die Bauern ihre Landwirtschaft deutlich mehr MIT als gegen die Natur betreiben. Daraus kann man eine Werbebotschaft machen:
„Österreichs Produkte haben eine hohe Qualität und Natürlichkeit“.
Die Idee, dass Österreich zum Feinkostladen Europas werden könnte, war geboren.

Aus diesen Überlegungen wurden Verkaufsargumente für Qualitätsprodukte aus Österreich entwickelt und das AMA Gütesiegel.
Bei Veranstaltungen wurde auch wiederholt darauf hingewiesen, dass mit dem Kauf eines österreichischen Produkts gleichzeitig ein Stück österreichischer Kulturlandschaft gepflegt wird. Ich bezeichne das immer als „Konsum-Patriotismus“. Dieser Patriotismus entstand in der Zeit der Beitrittsverhandlungen und führte auch allmählich dazu, dass die befürchteten großen Verkaufsverluste nicht eintraten.

Den Bauern und Bäuerinnen wurde allmählich klar, dass ihr Einkommen zumindest gleich bleiben bzw. vielleicht auch steigen könnte, wenn sie sich anstrengen oder neue Ideen für ihre Betriebsführung entwickelten. Rückblickend muss man sagen, dass diese Hoffnungen sich als richtig herausstellten, weil die Abnahme der Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in den 10 Jahren vor dem EU-Beitritt größer war als in den 10 Jahren danach.

Der Bio-Gedanke – eine große Chance für Österreichs Landwirtschaft
Ein wichtiger Gedanke im Rahmen der Qualitätsstrategie für die österreichische Landwirtschaft war der Bio-Gedanke, der unter den Bauern schon Anfang der 90-er Jahre vorhanden war. Bio-Lebensmittel, wie sie uns heute vertraut sind, waren jedoch nur schwer erhältlich, teuer und im Bewusstsein der Bevölkerung nur wenig verankert.
Mir war aber sehr wichtig, dass aus dieser Idee wirtschaftlich tragfähige Möglichkeiten für die LandwirtInnen entstehen konnten. Als ich im Jahre 1989 das Landwirtschaftsministerium übernahm, betrug das gesamte Budget für den Bio-Landbau 2 Millionen Schilling (das sind etwa 140.000 €). Und als ich das Ministerium nach 5 Jahren verließ, war das Budget für den Bio-Landbau auf 200 Millionen Schilling angestiegen, also 100 Mal so viel. Dies konnte uns nur gelingen, weil die maßgeblichen Supermarktketten Bio-Produkte in ihre Verkaufsprogramme aufnahmen. Darin ist Österreich heute noch weltweit führend!

In dieser Zeit wurden dann auch neue Labels für Bio-Produkte entwickelt. In der Folge stieg das Interesse an Bio-Lebensmitteln bei den österreichischen KonsumentInnen stetig an. Und ich kann voll Stolz sagen, dass Österreich immer noch Weltrekordhalter ist, was den Bio-Landbau betrifft: der Anteil an Bio-Anbauflächen liegt bei knapp unter 20 Prozent.

Waren Sie immer ganz und gar davon überzeugt, dass der EU-Beitritt der richtige Schritt für Österreich ist? Oder haben Sie zwischendurch daran auch gezweifelt?

An der Richtigkeit des Schrittes habe ich nie gezweifelt. Natürlich überlegt man manchmal, ob alle Maßnahmen, die man getroffen hat, ausreichend waren oder ob man nicht da und dort etwas andere Maßnahmen hätte setzen müssen. Also über das Wie haben wir schon diskutiert, aber über das Ob nicht.

Was sind die Aufgaben eines EU-Kommissars?

Man kann sagen, ein Kommissar ist so etwas Ähnliches wie ein Minister für die gesamte Europäische Union. Allerdings gibt es einen zentralen Unterschied und zwar diesen: Ein Kommissar kann bei allen EU-Politiken mitbestimmen und mitentscheiden, während das ein Minister nicht kann. Daher ist es auch wichtig, dass ein Kommissar sich nicht nur in seinem eigenen Fachgebiet auskennt.
Und dann ist er erstens dazu da, dass er gemeinsam mit seinen ExpertInnen in der jeweiligen Generaldirektion (die Verwaltung ist in Generaldirektionen unterteilt), wo es notwendig ist, neue Gesetzesvorschläge ausarbeitet, die er dann seinen KollegInnen in der Kommission präsentiert. Wenn die Kommission dann diese Gesetzesvorschläge beschließt, werden sie in das Parlament und in den Rat geschickt, zur weiteren Behandlung und Beschlussfassung. Der Kommissar muss dann auch diese Vorschläge vor dem Parlament, gegenüber den MinisterInnen der Mitgliedsstaaten und auch gegenüber der Öffentlichkeit vertreten.

Bei der zweiten Aufgabe des Kommissars geht es um die Durchführung der europäischen Gesetze. Und dazu hat man eben eine größere Zahl von BeamtInnen zur Verfügung, die einem dabei helfen. In meinem Fall hatte damals die Generaldirektion Landwirtschaft ungefähr 850 BeamtInnen. Was für die Größe der EU nicht sehr viel ist. Das österreichische Landwirtschaftsministerium hat nämlich allein in der Zentrale 700 BeamtInnen. Die praktische Durchführung – zum Beispiel von Fördermaßnahmen usw. – passiert allerdings in Zusammenarbeit mit den Verwaltungen in den Mitgliedsstaaten. Dabei muss dann aber auch wieder eine Kontrolle durch die Kommission ausgeübt werden. Dafür zu sorgen, dass dieser ganze Apparat funktioniert, ist daher ebenfalls eine wichtige Aufgabe des Kommissars.

Dann ist der Kommissar vor allem auch für internationale Verträge verantwortlich, wenn es z. B. um den Agrarhandel oder wenn es um Veterinärbestimmungen geht. Der EU-Kommissar verhandelt darüber mit VertreterInnen von Staaten der ganzen Welt.

Und schließlich muss man als Kommissar auch in Kontakt mit allen maßgeblichen Leuten sein, die in einem bestimmten Fachbereich etwas zu sagen haben. Wenn wir es auf Österreich umlegen, sind das einerseits PolitikerInnen des Bundes und in den Bundesländern, aber auch die Interessensverbände, also zum Beispiel die Landwirtschaftskammern oder die Industrie und die NGOs.

Als Kommissar darf man jedoch nie einseitig sein. Das ist ganz wichtig und das habe ich immer sehr ernst genommen: Der Kommissar darf nicht nur gewissermaßen der oberste Fürsprecher für die Bauern und Bäuerinnen sein. Es geht auch darum, die Interessen der KonsumentInnen oder der an Umwelt-und Tierschutz Interessierten ausreichend zu vertreten und sicherzustellen, dass zum Beispiel die Sorgen, die viele Menschen haben, etwa, dass die Lebensmittelpreise zu sehr steigen könnten oder die landwirtschaftlichen Böden weniger fruchtbar werden könnten, oder ob die Umwelt intakt bleibt, ernst genommen werden.

Sie haben als EU-Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei viele Veränderungen in Gang gebracht. Welche Auswirkungen haben diese für Kinder und Jugendliche in den EU-Staaten heute?

Was sich durch alle Reformen, die ich vorgeschlagen und dann auch durchgefochten habe, gewissermaßen wie ein roter Faden durchzieht, ist sicherzustellen, dass wir unseren Kindern und Enkeln eine intakte Umwelt hinterlassen. Wie verhalten wir uns gegenüber der Natur? Wie behandeln wir unsere Haustiere? Welche Schadstoffe gelangen in unsere Böden? Das sind nur einige der Fragen, um die es geht. Wir müssen eine Welt an unsere Kinder weitergeben, die genauso attraktiv ist wie die Welt, die wir selber als Generation übernommen haben.

Was waren die Meilensteine in den vergangenen 20 Jahren für Österreich in der EU?

Die Meilensteine für Österreich in der EU waren einerseits, dass wir in diesen 20 Jahren bereits zweimal den Vorsitz in der EU führten. Dies dauert jeweils ein halbes Jahr und stellt das Vorsitz führende Land ins internationale Rampenlicht. Österreich wurde beide Male rund um die Welt bestätigt, dass es ein sehr gutes Vorsitzland war.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass gewissermaßen die Handschrift eines Staates in der europäischen Entwicklung erkennbar wird. Und da glaube ich schon, dass Österreich im Bereich Nachhaltigkeit oder in Bereichen wie etwa dem Arbeitsrecht oder was soziale Gerechtigkeit anbetrifft oder auch im Bereich Forschung und Innovation wirklich sehr positiv gewirkt hat. Viele wissen nicht, dass Österreich unter den Besten Europas in Zusammenhang mit europäischen Forschungsprojekten ist.
Gerade für die Jugend ist interessant: In den letzten Jahren wurden die Möglichkeiten des Austausches von StudentInnen, von SchülerInnen und Lehrlingen besonders stark in Anspruch genommen (z.B. Erasmus).

Was sind Ihrer Meinung nach die großen Aufgaben der EU in den nächsten 20 Jahren?

Die politische TOP-Priorität muss die Beschäftigungsfrage sein. Es ist ein Skandal, dass wir Mitgliedsstaaten haben, in denen jeder zweite Jugendliche keine Arbeit findet. Man kann nur froh sein, dass die neue EU-Kommission die Beschäftigungspolitik zuoberst auf ihre Agenda geschrieben hat.

Eine zweite große Aufgabe ist auch schon nächstes Jahr fällig: 2015 werden die Weichen für die nächsten 20 Jahre im Bereich Energie und Klima gestellt. Es geht um Nachhaltigkeit. Das heißt, es geht um die Frage, wie man ein Gleichgewicht zwischen der Ökonomie, der Ökologie und der sozialen Verantwortung herstellen kann. 2015 gibt es große internationale Konferenzen zu diesen Themen und da erwarte ich mir, dass die Europäische Union Leadership zeigt und die anderen Staaten in eine nachhaltige Zukunft mitnimmt.

Einen dritten politischen Schwerpunkt sehe ich in Zusammenhang mit der derzeitigen politischen Situation in der Ukraine. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass wieder eine Art Kalter Krieg entstehen könnte. Das muss unbedingt verhindert werden. Hier glaube ich, dass die europäische Diplomatie gegenüber den Nachbarländern, gegenüber Russland, gegenüber der Türkei, gegenüber China etc. wesentlich strategischer auftreten muss.

Ebenso müssen wir die Schwachpunkte Europas in den Griff kriegen. Einer der größten Schwachpunkte liegt darin, dass die europäische Bevölkerung altert. Das führt dazu, dass immer weniger junge Leute für die Sicherstellung der Pensionseinkommen ihrer Elterngeneration aufkommen müssen. Und das wird früher oder später zu Spannungen führen. Daher denke ich, dass man dafür früh genug die Hebel in Bewegung setzen muss, damit es nicht zu einer sozialen Erosion kommt oder auch nicht dazu, dass die Generation unserer Kinder zunehmend ausgebeutet wird.
Einen weiteren Schwerpunkt, der in den nächsten 20 Jahren hoffentlich umgesetzt wird, sehe ich schließlich noch in der Integration aller Balkan-Länder in die EU.

Du möchtest noch mehr über die EU erfahren?

Kann die EU Krieg verhindern? Welche Vorteile hat es für Staaten, bei der EU zu sein? Gibt es noch Grenzen in der EU? Werden noch mehr Staaten zur EU kommen?
Antworten auf all diese Fragen findest du in unserem Interview mit dem Experten Mag. Patrick Scherhaufer.
Zum Interview

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gedruckt am: Donnerstag, 21. November 2024